Für unsere Zahnärztin Dr. Lena Reichert ging es im Rahmen eines ehrenamtlichen humanitären Hillfsprojektes mit „Zahnärzte ohne Grenzen e.V" im Januar/Februar 2023 auf die Kapverden. „Zahnärzte ohne Grenzen" ist eine gemeinnützige Organisation, die spendenbasiert zahnärztliche Basisbehandlungen an den ärmsten Patient:innen der Bevölkerung in verschiedenen Projektgruppen, vor allem in Afrika kostenlos durchführt.
Dr. Lena Reichert berichtet:
Unser Behandlungsteam auf den Kapverden bestand aus 4 Zahnarzt:innen aus ganz Deutschland. Nach dem ersten Kennenlernen begannen wir unsere Praxisräume einzurichten. Zur Verfügung stand uns ein ca. 12qm großer Raum, in dem wir unsere Klappbehandlungsstühle und portablen Behandlungseinheiten aufbauten. Wir überprüften den Inhalt der Kisten, welche uns die Organisation bereit gestellt hatte. Besorgten Tische, kontrollierten Instrumente und Einheiten auf deren Funktionstüchtigkeit und bereiteten alles unter dem kapverdischen Motto „no stress" für die kommenden Wochen vor.
Montags begann der Arbeitsalltag morgens um 08:30 Uhr. Wir arbeiteten täglich bis ungefähr 17:00 Uhr. Unser Behandlungsort, die PMI Facenda, ist eines von vielen Gesundheitszentren auf den Kapverden, welches überwiegend den Bereich der Gynäkologie abdeckt. In der Einrichtung können jedoch auch zahnmedizinische Basismaßnahmen angeboten werden. Trotz des niedrigschwelligen Angebots kann sich ein Großteil der Bevölkerung die dort angebotenen Behandlungen nicht leisten (Extraktion 6 €, Füllung 2 €, Zahnsteinentfernung 2 €). Diese Personen warteten sehnsüchtig auf die kostenfreie Behandlung der deutschen Zahnärzte.
Die vor Ort anwesende Zahnärztin Dr. Elisabeth Rodriguez, war uns vor allem in der Übersetzung mit Patient:innen eine große Hilfe. Hilfsmittel wie Google-Übersetzer konnten häufig nicht angewandt werden, da viele der Patient:innen analphabetisch waren. Dr. Rodriguez traf vor Projektbeginn außerdem eine Vorauswahl an Patient:innen, für die eine kostenlose Behandlung durch Zahnärzte ohne Grenzen besonders notwendig war. Unter den Patient:Innen befanden sich auch Menschen mit Behinderung. Häufig waren darunter Patient:Innen mit einer Kinderlähmung. Durch die in Europa weitverbreitete Schutzimpfung tritt die Erkrankung nur noch selten bei uns auf.
Pro Tag wurden circa 25-30 Patient:innen behandelt. Das primäre Ziel war dabei, direkt und möglichst in einer Sitzung bei allen Patient:innen, alle kariösen Defekte, Zahnstein und so weiter zu entfernen, sodass ein funktionstüchtiges und gesundes Gebiss vorliegt.
Auch nach der Corona Pandemie galt auf dem Klinikgelände weiterhin Maskenpflicht. Wir schützten uns mit FFP2 Masken und behandelten die Patient:Innen, als Träger:Innen einer potentiellen Infektionskrankheit (HIV, Hepatitis B). Auf den Anamnesebögen wurden diese Erkrankungen schon häufig angegeben. Dennoch war von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Das Behandlungsspektrum erstreckte sich hauptsächlich auf konservierend-chirurgische und Prophylaxe-Maßnahmen bei Erwachsenen als auch bei Kindern. Die Durchführung von Extraktionen und Füllungen war dabei Hauptbestandteil unserer Arbeit. Bei Kindern fiel uns das Extrahieren der bleibenden Molaren oftmals sehr schwer, da diese schon im Alter von 5-7 Jahren stark kariös zerstört waren. Daher zählte zu einer wichtigen Prophylaxe-Maßnahme auch das versiegeln der gesunden Molaren, sowie eine Demonstration und Aufklärung über das korrekte Zähneputzen. Besonders in Erinnerung blieb uns hierbei ein Vater, der nicht wusste, wie er eine Zahnpastatube öffnen könnte.
Süßigkeiten in jeglicher Variation sind in den Kapverden leider an jeder Ecke am Straßenrand zu finden, worunter viele Gebisse junger Kinder leiden. Auch bei Erwachsenen blieb häufig nur die Extraktion von Wurzelresten, die wir mit viel Aufwand aus dem Knochen fräsen mussten und über Zysten enormer Größe verfügten. Schon im jungen Alter wiesen viele Patient:Innen enorme Lückengebisse, darunter auch im Frontzahnbereich auf. Hochwertige Prothesen kann sich nur ein geringer Anteil der Bewohner:Innen leisten.
Auf endodontische Maßnahmen musste aufgrund fehlender Röntgengeräte komplett verzichtet werden.
Sowohl Erwachsene als auch Kinder zeigten nach der Behandlung häufig durch Umarmungen Ihre Dankbarkeit.
Während der Behandlungen war generell viel Flexibilität und Kreativität gefragt, da die Geräte nicht immer funktionstüchtig waren. An ein ergonomisches Arbeiten mit guter Sicht oder Licht war nicht zu denken. Eine Lupenbrille oder Stirnlampe können wir für künftige Einsätze daher nur empfehlen. Besonders interessant war die sterile Aufbereitung der Instrumente. Diese wurden in den 30km entfernten Ort Asomada gebracht, da in Prala der Sterilisator nicht funktionierte. Ein sparsamer Umgang mit den vorhandenen Instrumenten war von Vorteil, da diese erst einige Tage später wiedergebracht wurden.
Nicht nur die allgemeine Bevölkerung gehörte zu unseren Patienten. Es wurden fast täglich Strafgefangene in Begleitung von Polizeischutz gebracht und unter äußerster Vorsicht behandelt.
Eine zusätzliche Überraschung bot das Kamerateam vom portugiesischen Nationalfernsehen, welches uns eines Morgens überraschte. Es wurde dabei ein Beitrag über unsere Einsätze auf den Kapverden gefilmt hat. Dieser Beitrag wurde schon in der darauffolgenden Woche ausgestrahlt.
Nach 2 Wochen Behandlungszeit haben wir unvergessliche Eindrücke gesammelt. Abgerundet wurde unsere Erfahrung mit einem Schulbesuch in einem abgelegenen Bergdorf „Alto Gouvela". Diese Schule wurde erst vor wenigen Monaten durch den deutsch-kapverdischen Förderverein saniert und zählt nun zu einer der modernsten Schulen auf Santiago. In dem Ort selbst kann nicht von Modernität gesprochen werden. Vor den meisten Häusern/Hütten standen Wassercontainer, da fließendes Wasser nicht vorhanden ist. Dr. Elisabeth Rodriguez hielt einen Vortrag für Schüler:Innen und Eltern über das richtige Zähneputzen und gesunde Ernährung. Im Anschluss verteilten wir an jedes Kind Zahnbürsten. Die Dankbarkeit der Kinder zeigte sich uns durch Umarmungen und gemeinsame Fotos.
Für die einzigartige Erfahrung mit Zahnärzte ohne Grenzen will ich mich noch einmal ganz herzlich bei Dres. Kehl und Dr. Rodriguez bedanken. Zudem gilt ein besonderer Dank Dr. M. Hager (Clinius Zahnärzte), der mir durch die Bewilligung eines Bildungsurlaubes den Aufenthalt mit Zahnärzte ohne Grenzen erst ermöglicht hat. Danke für diese lehrreiche und unvergessliche Zeit!
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